13 Versuche, auf Peter Olpes Bilder zu zeigen
Ein Protokoll von Martin Zingg
Text zum Katalog der Ausstellung im Rappaz Museum Basel
10. Juni - 17 Juli 2022
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Ja ‒ all das, was wir vor uns haben, alles, was wir hier sehen können, stammt aus einer Hand, Peter Olpes Hand. Diese Hand sehen wir im Moment grad nicht, sie ist nirgends abgebildet, wohl aber sehen wir, was sie alles hervorbringen kann, wie offen sie ist, wie ungeheuer beweglich, wie einfallsreich, verspielt und genau. Sie scheint nichts auszulassen, keine Ausdrucksmöglichkeit. Die Hand, die die Olpes macht, all diese Olpe-Zeichnungen und -Gemälde und -Fotos, diese Hand scheint von nimmersatter Neugier getrieben, von grosser Lust auf Zufall, auf Kontrolle. Und unterlassene Kontrolle. Und mehr.
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Bringt uns diese Fülle in Verlegenheit? Nein, tut sie nicht, warum auch, im Gegenteil. Was angenehm auffällt, ist das Fernbleiben aller marktförmigen, auf ein jederzeit mögliches Wiedererkennen zielenden Bild- und Produktionsstrategien. Die Wiederholung gibt es sehr wohl, selbstverständlich, Peter Olpe hat gewisse Vorlieben, aber er hat sie stets als Variante, als Abwandlung, als Fortsetzung, als Spiel mit Möglichkeiten, die noch lange nicht ausgeschöpft scheinen. Die Wiederholung kommt nicht als Verdoppelung desselben daher und dient nicht dem Branding. Es geht nicht um die Marke.
Der Ausruf, das sei nun aber ein typischer Olpe ist zum Glück kaum vorstellbar. Und dennoch, das ist das Raffinierte, haben Olpes Arbeiten durchaus Gemeinsamkeiten, davon später vielleicht mehr, es muss ja nicht alles sofort ausgeplaudert werden. Jetzt schon sei aber verraten, dass man beim Betrachten eines Bildes jederzeit überrascht werden kann ‒ nicht allein vom Bild, sondern auch von der Tatsache, dass ausgerechnet Peter Olpe es geschaffen hat, er schon wieder. Das ist ein zusätzliches Vergnügen. Die Fachwelt, wäre ihr der Ausdruck bekannt, spräche von einem Komplementärplaisir.
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Es geht ihm nicht um ein Matisse-Grün oder ein Hockney-Blau oder ein Bourgeois-Rot, auch nicht um eine formale Geste, die, weil sie zitierbar ist, auch wiedererkennbar ist. Es ist die pure Freude an der Fülle der Möglichkeiten, die Pinsel, Farben, Wasser, Bleistift, Farbstift, Kamera, Computer offerieren. Es ist eine Bild-Erzähl-Lust, die selten und darum kostbar ist. Daher diese spürbare Heiterkeit.
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Peter Olpes Bilder kommen in sehr unterschiedlichen Formaten daher, das fällt auf. Das Nebeneinander unterschiedlicher, sehr variabler Bildformate auf kleinem Raum erinnert daran, wie wenig beiläufig, wie wichtig die Bildgrösse sein kann, die Maße, Länge mal Breite. Die Grösse erzählt ja auch etwas. Immer.
Unterschiedlich und nicht minder vielfältig sind die Techniken, die Motive sowieso. In Peter Olpes Bildern bleiben die Optionen offen, alles, so sieht es aus, kann jederzeit wieder ändern.
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Fragen fürs Protokoll: Steht das Format schon fest, wenn PO zu zeichnen beginnt? Entscheidet er sich immer auch für ein bestimmtes Format? Wie eng müssen Bildidee und Bild (Grösse) zusammenhängen? Ändert er das Format hinterher? (Jedes Blatt kann beschnitten werden. Jedes Bild kann, einmal digitalisiert, auch vergrössert und verkleinert werden.)
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Wie die Bilder auftreten, wie sie aufeinander zeigen, erhöht das Vergnügen und schärft den Blick. Allerdings dürfen die Bilder, damit sie ihre Nachbarschaft pflegen können, einander nicht zu nahe stehen, oder anders: sie dürfen einander nicht zu ähnlich sein. Die Korrespondenz lebt von einer kleinen Differenz, und diese ist hilfreich: Das Bild nebenan, indem es anders ist, verweist jeweils auf die eigenen Merkmale. Das eine ergänzt das andere, erweitert es, dehnt und vertieft es und hält es in Schranken. Blamiert es und beleuchtet es und verdeutlicht es, Farben geraten miteinander ins Gespräch, deklinieren ihre Möglichkeiten, bitte, was sollen Bilder denn mehr?
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Mit jedem neuen Bild probiert Peter Olpe auch eine neue Bilderzählung aus. Mal reichen siebzehn kühne, zarte Striche vollkommen, um ein bisher unbekanntes Wesen in die Welt einzuschleusen und ihm fortan Gegenwart zu ermöglichen. Ein anderes Mal wird entschlossen schraffiert, und am Ende deuten zahllose Linien eine Landschaft an, die in Italien liegen könnte und die vollkommen anders aussieht als die mit Öl breitpinslig skizzierte Berner Oberländer Gebirgsregion oder gar eine mit der Lochkamera auf Film gebannte, von Licht durchflutete Stadtansicht im Süden. Die Wahl der Mittel entpuppt sich immer als Überraschung, und es sieht so aus, als werde auch Peter Olpe immer wieder von dem überrascht, was er in Händen hält.
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Ein Bild: Auf eine Piazza zog es mich im nachlassenden Nachmittagslicht, geblendet konnte ich nicht mehr werden, die Sonne senkte sich sanft. Es schien, als wehte Sand in der Luft, als hinge ein feiner Sandvorhang, der alles weichschmirgelte ins unendlich Feingepunktete. Und natürlich war es vor allem die Farbe, dieses zurückhaltende und dennoch hartnäckige, beinahe fahle, ins Grau drängende Blau, das, ohne je scharfe Konturen zuzulassen, mich auf diese Piazza zog, die ich aber nur erkennen konnte, solange ich durch den feinkörnigen Schleier hindurch Distanz zu ihr hielt. Das Bild zeigte mir einen Platz mit ein paar Häusern und zeigte zudem, wie man einen Platz mit ein paar Häusern zeigen und – sehen kann.
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Ein anderes Bild: Als die Wolken wie versteinert waren und aussahen, als könnten sie jeden Augenblick weiterziehen, wie Wolken eben weiterziehen, ohne jede Hast und unaufhaltsam. Als sie, von mirakulösen Kräften dazu gedrängt, neue Muster entwarfen und mit einem Mal schneckenförmig oder bohrzylinderartig aussahen.
Und als sie ihre Erscheinung im Schatten verstecken wollten, in einem Schatten, den sie nicht selber werfen konnten.
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Was auch ins Protokoll gehört: Einige liebgewonnene und angesichts von Bildern gerne für brauchbar oder gar hilfreich gehaltene Einteilungen werden mit Blick auf Peter Olpes Arbeiten bald müssig, weil nutzlos: figurativ, nicht-figurativ, konkret, abstrakt, konkret-abstrakt usw. Das bedeutet in der Folge: wohltuendes Fehlen von Schubladen und Etiketten, es gibt keine Abholfächer, keine gefriergetrockneten Erklärungsmuster und keine Theorieattrappen, nichts, was das eigene Sehen betreuen und am Ende gar ersetzen könnte. Nichts, worauf man sozusagen blindlings setzen kann. Worauf man sich setzen kann. Möglich ist dagegen das Hinschauen, selber hinschauen, geduldig und wiederholt, was von allen Möglichkeiten, mit Bildern umzugehen, die beste bleibt.
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Es ist den Bildern vollkommen gleichgültig ist, ob man sie anschaut oder nicht, wie oft und wie lange. Das Schönste ist ja, dass die Bilder die Freiheit haben, nichts zu bedeuten. Und dass sie eine schwer definierbare, aber stets spürbare Heiterkeit vermitteln, der mit Begriffen nicht beizukommen ist. Aber sie muss ja nicht erklärt werden, sie ist da, das genügt. Eine Kunst des Gewährenlassens, des Geschehenlassens, die wie beiläufig einen Überschuss an Bedeutungen produziert.
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Noch ein Bild: Heruntergeladen, dann vergrössert, schliesslich mit Oel oder Tempera oder beidem übermalt: wir sind per Google Instant Street View in Venedig angekommen, auf der Giudecca. Die Wolken darüber werden bald zerbröseln, aber sie können nicht untergehen, so wenig wie Venedig. Es sind die Wolken von Ferdinand, von Ferdinand Hodler, der sie einst in einem Gemälde über dem Genfersee schweben liess, von wo sie nun mit Hilfe des jüngeren Kollegen weitergezogen sind, Wolken sind nicht aufzuhalten. Wolken kann man beobachten, man kann sie zeichnen oder beschreiben, aber neu erfinden muss man sie nicht. Peter Olpe hat sie vorsorglich und fürsorglich aus der Léman-Region evakuiert, nun tun sie anderswo Dienst. Bilder knüpfen immer an andere Bilder an, auch daran erinnert dieses Bild. Dazu Jean-Luc Godard: Es kommt nicht darauf an, woher man die Sachen holt, sondern wohin man sie bringt.
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Käme nun hier eine Aufforderung vom Typ Zeig uns doch mal, was du nicht kannst!, könnte das Protokoll nichts notieren, weil das, was Peter Olpe kann, schon vollkommen reicht, und er klugerweise nur zeigt, was er kann. Und weil das, was er kann, auch alsbald reicht, weil er es vollkommen kann, ist es unglaublich viel. Wo er nicht hinschaut, ist möglicherweise nicht viel zu sehen. Ihm scheint wenig zu entgehen, was ihn interessieren könnte, so sieht es aus.
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Natürlich ist es dort am hellsten, wo das meiste Licht ein- und hinfällt. In einem Bild kommt es, sorgfältig eingerahmt, von aussen her, dringt zwischen zwei schweren Vorhängen ins Zimmer, auf einen rostbraunen Teppich, und einige Flecken Licht bekommt auch ein behäbiger Fauteuil. Das Licht, darauf verweist im Hintergrund eine Fassade mit auffälligen Fenstern, könnte ein Pariser Licht sein, warum nicht.
Und gleich darunter, auf einem anderen Bild, ist wieder Licht im Spiel, es leuchtet einen Kubus aus, deutet Kanten und legt sich nicht fest. Es ist ein waberndes Licht, es sind Schlieren, deren Quelle nicht auszumachen ist, Licht, das sich nicht anbinden, eine Helligkeit, die sich nicht eingrenzen lässt.
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Wieder ein Bild: Eben waren wir beispielsweise in Esztergom, wir stiegen die Treppe hoch, die steile, die anfangs im Dunkeln verharrende Treppe, ständig ging es hoch, nur aufwärts, Stufe für Stufe, und wir sahen in der Ferne das Licht, zu dem wir strebten, das Licht, das die Treppe stellenweise erhellte, wie ein Vorschuss sah es aus, aber nun geht es immer noch weiter aufwärts. Immer lockt das Licht, und immer geht es hoch, ein Ende ist nicht abzusehen, obschon wir mit jeder Stufe etwas näher ans Licht rücken, dorthin, wo die Treppe nicht mehr weiterkann. Dort bleiben wir verwundert stehen und blicken ins Helle-